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Pilates und die Psychologie

Mein Weg zu Pilates kam überraschend. In einer meiner schlimmen Angstphasen vor fast 10 Jahren habe ich Yoga-Videos zum Entspannen auf Youtube gesucht, damit mein total verrücktspielendes Nervensystem ein bisschen zur Ruhe kommt.

Und wie es der Zufall will, bin ich auf ein Pilatesvideo gestoßen, das mich sofort in den Bann gezogen hat.

Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, von wem das Video war, aber dieser Person danke ich von Herzen.



Durch die achtsame Ausführung der Bewegungen fiel es meinem Kopf leichter abzuschalten, denn ich war mehr damit beschäftigt, dass Atmung und Bewegung zusammenspielen, als das ich an etwas anderes denken konnte.


Joseph Pilates betonte schon damals, dass es sich nicht um einfach aneinander gereihte Übungen handelt, sondern die Übungen von den verschiedensten Sportarten zusammengefasst und über Jahre hinweg beobachtet und entwickelt wurde.

Grundlage um, die nun so angepriesene Verbindung zwischen Körper und Geist herzustellen sind die folgenden Prinzipien:


Atmung

Konzentration

Kontrolle

Zentrierung

Präzision

Bewegungsfluss


Diese Prinzipien haben für mich sehr viel gemeinsam mit einer Psychotherapie, deshalb wollen wir uns die Punkte genauer ansehen:


1) Atmung

„Lerne vor allem anderen, richtig zu atmen.“ Sagte Joseph Pilates. Ich gebe zu, die Atmung im Pilates ist nicht einfach, jedoch ist sie gut durchdacht und erst durch die Atmung werden die Übungen richtig ausgeführt. In den Jahren des Unterrichtens habe ich gemerkt, dass viele Menschen einfach die Luft anhalten und so hoffen, dass die Übung leichter geht. Aber auch durch das viele Denken „vergessen“ sie das Atmen einfach. So geht es uns aber auch im Alltag! Sind wir gestresst, atmen wir flacher und wir verlernen zusehens ein tiefes und richtiges Atmen. Atmen ist lebensnotwendig. Es passiert zwar unbewusst, aber wie das Lesen und Schreiben, können wir auch lernen die Atmung zu vertiefen und dadurch unser Wohlbefinden steuern.

Es gibt unterschiedlichste Atemtechniken, die man erlernt, sobald man sich mit der Psyche auseinandersetzt. Um den Rahmen nicht zu sprengen, werden wir uns dieses ein anderes mal ansehen.



2) Konzentration

Genau mit diesem Punkt, kommt die Körper und Geist Verbindung gezielter ins Spiel.

Für mich kommt hier wieder viel aus dem Yoga ins Spiel. Yoga ist ja nicht nur eine Form der Mediation, sondern kann auch anstrengend sein, da viele Bewegungen gehalten werden und Kraft erfordern.

Im Pilates werden die Übungen fließend ausgeführt und es zielt darauf an, dass du dir bewusst bist, welche

Muskeln du mit welchem Ziel bewegst. Jede Übung sollte so korrekt wie möglich ausgeführt werden. Dies wird möglich, sobald der Lage- und Bewegungssinn einsetzt, die sogenannte Propriozeption.

Der Begriff stammt aus dem Lateinischen und leitet sich aus zwei Wörtern ab proprius „eigen“ und recipere „aufnehmen“. Es handelt sich also um eine komplexe Sinneswahrnehmung, bei dem der Körper das Gehirn über die Position von Gelenken und Glieder informiert.

Die Propriozeption ist ein wesentlicher Teil unserer Eigenwahrnehmung, da er uns Lage und Haltung unseres Körpers im Raum und somit die Fähigkeit gibt uns in einem Raum zu bewegen.

Dieser Sinn kann und muss geschult werden, deshalb ist es wichtig, dass die Pilatesübungen nicht nur ausgeführt, sondern auch gefühlt werden.

Durch die Propriozeption wird uns vereinfacht gesagt vom Körper an das Gehirn vermittelt ob wir stehen oder sitzen, welche Haltung wir haben und in welche Position unsere Extremitäten eingenommen haben.




3) Kontrolle

Nicht nur im Pilates ist es wichtig eine Übung kontrolliert auszuführen, sondern in jeder sportlichen Aktivität. Viel passiert natürlich unbewusst in unserm Alltag. Wir müssen die Muskeln nicht kontrollieren, wenn wir uns an den Esstisch oder Schreibtisch setzten. Dafür ist es aber wichtig, dass ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit auf die präzise und fließende Ausführung der Bewegung gelegt wird. Durch die Schwerkraft ist es oft einfach eine Bewegung auszuführen, da sie uns bei der Ausführung hilft, jedoch arbeiten wir hier mit Schwung und nicht mit Kontrolle. Im Pilates wird die tiefe Stützmuskulatur eingesetzt, welche eine korrekte Ausrichtung der neutralen Position der Wirbelsäule gewährleistet. Werden die Bewegungen also unkontrolliert und mit Schwung ausgeführt, kann es kontraproduktiv sein, und wir richten mehr Schaden an, als das wir dem Körper Gutes tun.

Dies zeigt uns aber auch in unserem Alltag. Besonders durch die Arbeit mit Neu-Mamis habe ich gesehen wie wichtig eine korrekte Bewegung in unserem Alltag, eine positive Auswirkung auf unserem Körper hat.

Aber jeder von uns sollte seine Bewegung auch im Alltag kontrolliert ausführen, um Verletzungen zu vermeiden. Zu Verletzungen zähle ich auch Verspannungen, die häufig bei Angst und Depressionspatienten vorkommen, da sie sich wenig bewegen und wenn, dann falsch und verkrampft.


4) Zentrierung

Im Pilates spricht man immer wieder vom sogenannten Powerhouse. Dieses Powerhouse ist die Kraft von der aus wir in jeder Übung die Bewegung ausführen. Es ist kein imaginäres Bild, dass wir versuchen uns vorzustellen, sondern dazu zählen viele Muskeln in der Lendengegend und dem Teil deines Körpers zwischen dem Rippenbogen und dem oberen Rand des Beckens. Um die Muskeln zu benennen wollen wir die Muskeln kurz in den Mittelpunkt stellen: die geraden (Rectus), schrägen (Obliquus) und querverlaufenden (Transversus) Bauchmuskeln, die Multifidusmuskeln, den Beckenboden, das Zwerchfell, die Gesäßmuskeln (Gluteus) und Hüftbeuger (Psoas). Es gibt aber auch noch ein zweites Powerhouse im Bereich des Schultergürtels. Dazu zählen der Trapezius, der vordere Serratus, der breite Rückenmuskel (Latissimus dorsi), die Brustmuskulatur (Pectoralis) und die tiefen Halsbeuger. Auch sie tragen einen wesentlichen Teil zur Stabilisierung während der Übungen bei.

Um dir das Powerhouse auch bildlich vorstellen zu können, hilft oft eine Box im Rumpfbereich.

Male eine imaginäre Linie von Schulter zu Schulter und Hüftknochen zu Hüftknochen und verbinde diese mit zwei vertikalen Linien. Durch das halten dieses bildlichen Rechtecks auf dem Rumpf, kannst du dir besser vorstellen, dass der Bereich des Rippenbogens einen Abstand in der Bewegung zwischen Schulter und Hüfte machen möchte und du dadurch mehr Spielraum in der Bewegung erlangst. In Verbindung mit der Atmung wird so automatisch das Powerhouse aktiviert.

Gerade wenn es uns schlecht geht, finden wir dieses Rechteck nicht auf unserem Rumpf. Wir fallen im Vorderbereich unseres Körpers ein. Pilates hat es mit einer Aussage richtig auf den Punkt gebracht:

„Vernachlässige niemals deine Haltung – denn es drückt deine Lungen zusammen, staucht andere lebenswichtige Organe, macht deinen Rücken krumm und bringt dich aus dem Gleichgewicht.“


5) Präzision

Genau bei diesem Punkt trifft keine Aussage mehr als „Qualität vor Quantität.“ Im Pilates achten wir auf präzise ausgeführte Übungen. Für Anfänger liegt hier häufig der Knackpunkt, da es sehr schwer ist auf alle Prinzipien während der Ausführung zu beachten. Es muss an die richtige Atmung, Konzentration, Kontrolle, Anspannung des Powerhouses und dann auch noch auf das richtige Maß an Körperkraft geachtet werden.

Aber auch hier, hat es der Meister auf den Punkt gebracht „Einige wenige gut durchdachte Übungen, die sauber und im Gleichgewicht ausgeführt werden, sind effektiver als stundenlanges, schlampiges Training oder erzwungene Verrenkungen.“ Genau aus diesem Grund ist es oft besser, wenn du zuerst die einfacheren Übungen so lange trainiert werden, bis der präzise Ablauf mit all seinen Prinzipien beherrscht wird.

Aber auch in diesem Punkt wird es deutlich wie sehr wir das Prinzip auf unser Leben übertragen können. Weniger geht es um die Bewegung, sondern um die Präzision unseres Lebens. Wie sehr achte ich auf mich? Führe ich den Alltag nur mehr aus, damit er gemacht ist oder geht es auch hier um Qualität anstatt Quantität. In der heutigen Gesellschaft müssen wir immer schneller und besser sein. Uns immer wieder aufs Neue steigern. Aber wo bleiben dabei wir?

Ich fühlte mich oft wertlos, antriebslos und wusste nicht wie ich mein Leben wirklich mit all den Gefühlen meistern konnte. Gerade in Zeiten der Pandemie, werden wir immer aufs Neue mit vielen Gefühlen konfrontiert. So erlebe ich, wie wichtig es ist nicht den Fokus zu verlieren. Für was brenne ich? Was begeistert mich? Also entscheide ich mich bewusst dafür, dass mich die Gesellschaft irgendwo hineinzwingt, als das ich mit Präzision meinen Wünschen folge.


6) Bewegungsfluss

Bewegungsfluss hat wieder viel mit Kontrolle zu tun. Die einzelnen Übungen sollten stets dynamisch aber wie schon betont ohne Schwung ausgeführt werden. Nicht nur die Übungen selbst, sondern auch die Übergänge zur nächsten Übung. Wenn wir also die anderen Prinzipien Atmung, Konzentration, Präzision, Kontrolle und Zentrierung vereinen und beherrschen, entsteht automatisch ein wunderbarer Flow, also Bewegungsfluss. „Es gibt keine schlechten Übungen, nur schlecht ausgeführte Übungen“. Im Bewegungsfluss spielt auch das Zusammenspiel der Muskelgruppen eine große Rolle. Es wird nie nur ein Muskel trainiert, sondern es ist immer ein tolles Ganzkörpertraining. Auch wird stets versucht mit Tempoänderung zu arbeiten und mehr als nur ein Gelenk zu bewegen. Eine Muskelentspannung findet immer gleichzeitig mit einer Kontraktion statt, welche so ein noch effizienteres Training ergeben. Diese Form von Anspannung und Entspannung finden wir nicht nur im Pilates. Auch im Yoga ist dies ein ganzheitlicher Ansatz. Jeder Sportler weiß, dass nach einem intensiven Training auch eine Ruhepause folgen sollte. Im Pilates wirst du sehen, dass durch den angenehmen Bewegungsfluss eine stimmige Stunde entstehen wird und dies trägt wesentlich zur Entspannung bei.

Auch bei den Therapiesitzungen habe ich eine solche Anspannung und Entspannung erfahren. Wenn du durch die Verhaltenstherapie lernst, dass du durch die Angst gehen sollst, wirst du sehen, dass nichts aus deiner Vorstellung passieren wird und du somit eine Belohnungsphase mit Endorphinen und somit Entspannung erfahren wirst.






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